Wären die Umstände nur ein kleines bisschen anders gewesen, dann hätten wir uns nie getroffen. Aber so ist das ja oft mit Begegnungen im Leben. In der Regel sind sie Zufall.
Mehr gezwungen als freiwillig schleppte meine Mutter mich eines Montagabends im Jahr 2009 zum ersten Training der Saison. Prinzengarde im Karnevalsverein. Getanzt hatte ich vorher schon, aber in einem anderen Verein mit weniger Ambitionen. Ich wusste schon, dass ich gerne disziplinierter trainieren will und der Wechsel war logisch. Aber so überrumpelt? Das war ja gar nichts für mein 14-jähriges Ich. Rückblickend war das aber einer dieser „Ich-verlasse-meine-Komfortzone-Momente“, nach denen es nur besser wird.
Und als die Session näher rückte und die Halle geschmückt, das Bühnenbild gezimmert und bemalt wurde, da bist du mir das erste Mal über den Weg gelaufen. Aus der Ferne bist du mir aufgefallen, wie du fleißig überall mit angepackt hast, wo es nötig war. Du gehörtest hier schon von klein auf dazu und das hat man dir angesehen.
Schnell wusste ich deinen Namen, aber gesprochen haben wir nie. Du warst einer dieser beliebten Menschen, die jede*r gut leiden kann und die auch jede*n leiden können, immer mit einem Grinsen im Gesicht, hilfsbereit – und gutaussehend. So war ich nicht. Ich war schüchtern, zurückhaltend, ich fiel nicht auf. So dachte ich.
Umso mehr setzte mein Herz kurz aus, als ich eines Abends das gerade aktuelle soziale Netzwerk öffnete (Facebook war noch in den Kinderschuhen) und eine Freundschaftsanfrage von dir vor mir hatte. Ich klickte auf Annehmen und durchstöberte sofort dein Profil: Fotoalben, Gruppen, Freunde. Du warst zwei Monate älter als ich – und Single. Ich war noch nicht ganz fertig, da ploppte schon eine Nachricht von dir auf. Und mein Herz setzte wieder kurz aus. Eine Nachricht bedeutete, dass dies keine Anfrage war nach dem Motto: Ich weiß ungefähr wer du bist und du wurdest mir vorgeschlagen, also füge ich dich jetzt meiner Freundesliste hinzu. Sondern es hieß, dass du tatsächlich mit mir reden willst.
Ich weiß nicht mehr, worüber wir in unserem ersten Chat gesprochen haben. Im Grunde ist es auch egal. Ich weiß nur, dass ich jedes Mal grinsen musste, wenn eine neue Nachricht von dir kam. Dass ich es kaum erwarten konnte, dass du wieder online warst. So gingen die nächsten Wochen vorüber. Im echten Leben haben wir kaum miteinander gesprochen. Zumindest wäre niemand auf die Idee gekommen, dass wir uns schon etwas besser kennen und nicht nur durch die paar flüchtigen Begegnungen. Hier machte jeder von uns sein Ding und am nächsten Tag schrieben wir miteinander.
Dann war Karneval vorbei und als wäre das dein Stichwort gewesen, hast du mich nach einem Treffen gefragt.
Es war März. Es war kalt und nieselte leicht, als ich nachmittags den Bus nahm. Ich war froh über das Stück Fußweg, dass ich noch zurücklegen musste, denn dabei konnte ich meine Nervosität ein bisschen beruhigen. Aber um sie komplett zu vertreiben, war der Weg zum Schwimmbad dann doch nicht weit genug. Da standst du schon und hast mich total gechillt begrüßt, dein Grübchen-Grinsen aufgesetzt, dass ich ich schon bald so sehr lieben würde. Du hast es mir leicht gemacht, mich wohlzufühlen.
Ich weiß noch, dass ich sehr viel gelacht habe bei diesem ersten Date. Es verging bestimmt eine Stunde, bis wir überhaupt das erste Mal daran dachten, ins Wasser zu gehen, so lange lagen wir nebeneinander auf unseren Handtüchern und redeten über Gott und die Welt. Der Nachmittag verging. Und am Ende des Tages küssten wir uns. Lange. So lange als hätten wir beide schon seit Monaten nur auf diesen Moment gewartet.
Von da an waren wir zusammen. Du hast mich regelmäßig von der Schule abgeholt, wenn ich Nachmittagsunterricht hatte und mit mir auf meinen Bus gewartet. Wir haben uns kleine Briefe geschrieben und bei diesen Treffen ausgetauscht. Wir haben Selfies gemacht mit deinem Sony Ericsson. Eins davon hast du später auf ein Kissen drucken lassen und mich damit überrascht. Und immer wieder waren wir gemeinsam im Schwimmbad, denn das war unser Ort. Mein erster Urlaub ohne meine Eltern war mit dir, mein erstes Mal so richtig betrunken sein und kotzen müssen auch. Das erste Mal „Ich liebe dich“ sagen und es auch so meinen. Das erste Mal streiten und wieder versöhnen, das erste Mal kitschige Geschenke zu Geburtstag und Weihnachten machen, das erste Mal eifersüchtig sein … Du warst ein sicherer Hafen für mich. Auch und gerade in Zeiten, in denen ich gehadert habe, mit mir und mit meinen Freundschaften. Du hast mich zum Lachen gebracht, jeden Tag. Du warst stark und hast viel ausgehalten, musstest du, aber mir hast du auch deine verletzliche Seite gezeigt. Die Seite, die nur wenige kennen durften.
Umso schlimmer, dass mein erstes Mal ein Herz brechen auch mit dir war. Aber nicht nur deins, sondern auch meins.
In den drei Jahren, die wir zusammen verbracht haben, sind wir gemeinsam ein Stück erwachsen geworden. Auf einmal durften wir Auto fahren und legal Alkohol trinken. Wir durften Verträge unterschreiben und Konten eröffnen. Und ganz langsam schlich sich bei mir der Verdacht ein, dass dieses Erwachsenwerden noch weitergehen wird – und dass wir das nicht länger gemeinsam machen können. Wir haben immer im Hier und Jetzt gelebt, wir haben keine großen Zukunftspläne geschmiedet. Doch als die Zukunft näher rückte, wurde das zum Problem.
Die Art und Weise, wie ich Schluss gemacht habe, war nicht fair. Der Zeitpunkt falsch, der Ort ebenso. Doch nach Wochen des Grübelns war auf einmal einfach der Punkt da, wo ich Klartext reden musste. Das war auf viele Arten falsch, aber gleichzeitig auch sehr richtig.
Das erste Mal echten Liebeskummer spüren. Auch das war mit dir.
So viele erste Male mit dir. Meine erste Liebe.
Heute bist du Papa und ich sortiere gerade mein Leben neu. Und wann immer ich an vergangene Beziehungen zurückdenke, da denke ich an dich mit einem Lächeln.
We were not meant to be forever. But we were meant to be. Und dafür werde ich immer dankbar sein.