Intensiv

Narzissmus

*** CONTENTWARNUNG: Narzissmus, toxische Beziehungen ***


An einem Samstagabend allein in einer fremden Stadt. Langeweile. Und ein Tinderaccount auf meinem Handy. Die Faktoren, die uns zusammengebracht haben waren so absurd trivial. 

Ich habe dein Bild nach rechts gewischt, weil mir deine stahlblauen Augen aufgefallen sind. „It’s a match“, schreit die App mich geradezu an. Ich ignoriere es erstmal. Zwei Minuten später eine Nachricht von dir. Ich weiß nicht mehr, was du geschrieben hast, aber es war ein bisschen origineller als das meiste, was ich bisher erlebt hatte, also war mein Interesse schon geweckt. Du hast das bare minimum erfüllt und meine Aufmerksamkeit war dir sicher. Wüsste ich nicht, wie es weiterging, würde ich über meine Naivität schmunzeln.

Eine Stunde später saß ich bereits mit dir in einer Bar. 

Du hast mich regelrecht in einen Bann gezogen. Du warst charmant, irgendwie verwegen, hast mir das Gefühl gegeben, etwas Besonderes zu sein, wenigstens an diesem Abend. Wir haben uns so gut verstanden und geredet als würden wir uns schon ewig kennen. Stundenlang. Irgendwann haben wir die Bar gewechselt und schließlich sind wir bei dir gelandet, es muss inzwischen zwei oder drei Uhr morgens gewesen sein. Wenn diese Formulierung nicht so verkitscht und abgegriffen wäre, würde ich sagen, du hast in dieser Nacht meine Welt erschüttert. Doch weder sage noch schreibe ich verkitschte Floskeln.

Den nächsten Tag und auch den übernächsten Morgen verbrachten wir gemeinsam, bevor ich mich wieder auf den Heimweg machte. 

Intensiv.

Wenn mich jemand fragt, beschreibe ich so nicht nur unsere ersten beiden Tage, sondern auch die darauffolgenden ersten Monate mit dir. Es war intensiv, weil du intensiv warst. So viele Emotionen, so viel Aufmerksamkeit, so viel Sex. Ich war an nichts davon gewöhnt. Aber ich habe es genossen. Ich habe genossen, dass ich in deinen Augen die attraktivste Frau der Welt war, dass du kaum eine Minute deine Finger von mir lassen konntest, dass du mich wenn wir getrennt waren, mit Nachrichten überschüttet hast. Du hast mir Geschenke gemacht ohne Anlass, hast mir Frühstück ans Bett gebracht, hast bis spät nachts im Zug gesessen, um ein bisschen länger bei mir sein zu können. 

Als ich nach unserem Ende den Begriff „Love Bombing“ gelernt habe, ist was eingerastet. Achso. F*ck. 

Kurz: Du hast mich auf Händen getragen. Und ich habe das geliebt, habe dich geliebt und ich war absolut vernarrt in dich. Doch wer auf Händen getragen wird, kann fallengelassen werden. 

Ich beendete mein Studium, aber Arbeit war erstmal nicht in Sicht, mein Selbstbewusstsein auf einem steilen Weg nach unten. Ich zog bei dir ein und da du als Soldat die meiste Zeit nur am Wochenende überhaupt zuhause warst, kümmerte ich mich um den Haushalt. Ich kaufte ein, putzte, dekorierte. Doch das änderte nichts daran, dass ich mich nutzlos und vor allem alleine fühlte, in einer mir unbekannten Stadt, in einer Wohnung, die nicht meine war – und dann kam Corona. In meiner vulnerabelsten Zeit warst du meine einzige Konstante, mein einziger Bezugspunkt. 

Da hat es ganz schleichend angefangen. Du bist freitags nach Hause gekommen und hast dich beschwert, dass die Wohnung nicht sauber sei. Wie kann das sein, wenn ich doch die ganze Woche nichts zu tun hatte? Da musste ich dir schon recht geben, was kriege ich eigentlich hin? Also habe ich mich in Zukunft jeden Freitagvormittag auf den Kopf gestellt, damit alles in einwandfreiem Zustand ist, wenn du kommst. Obwohl ich an manchen Tag so antriebslos war, dass sogar das Aufstehen morgens schon ein Kraftakt war, dazu habe ich mich fast immer aufgerafft. Die paar Mal, wo ich es nicht geschafft habe, waren mir eine Lehre. 

Dich zu kritisieren, habe ich mir bald darauf abgewöhnt. Du bist nie handgreiflich geworden, aber ich erinnere mich an einen eiskalten Januarabend, an dem ich zwei Stunden lang durch die dunklen Straßen gelaufen bin, weil ich nicht wusste, was mich erwartet, wenn ich wieder nach Hause gehe.

Jeder Streit endete mit einer Entschuldigung von meiner Seite. Jedes Mal hattest du mich irgendwann überzeugt, dass ich im Unrecht war, dass ich überreagierte, dass ich mich falsch verhalten hatte. Und kurz darauf versichertest du mir wieder deine unendliche Liebe. 

In meinem Kopf war die Schlussfolgerung daher total logisch: Wenn ich so viele Fehler habe und du mich trotzdem liebst, dann bist du echt was Besonderes – und ich sollte mich gefälligst anstrengen.

Ich lief wie auf Eierschalen. Immer auf der Hut nichts Falsches zu sagen, nichts Falsches zu tun. Im Gegenteil versuchte ich schon im Voraus zu ahnen, wie ich dir dein Wochenende noch angenehmer machen konnte. Oft genug hatte das mit Spitzenunterwäsche zu tun, oft genug hatte ich keine Lust, aber wollte nicht nein sagen, weil ich ebenso oft genug das Gefühl hatte, hier im Bett war der einzige Ort, wo ich es dir Recht machen konnte. Hier konnte ich unsere Beziehung retten.

Oh, wie falsch ich lag. 

Dann passiert das Unerwartete.

An meinem 26. Geburtstag – wir befinden uns im zweiten Corona-Lockdown – hast du abends für mich gekocht, ich durfte mir sogar etwas wünschen. Danach sitzen wir auf der Couch jede*r mit einem Glas Wein in der Hand, als du mir noch ein weiteres Geschenk ankündigst, es ist ein Ring.

In einer Phase meines Lebens, in der ich keine Ahnung davon habe, wie meine Zukunft aussehen kann, in der ich kurz davor bin, den Halt komplett zu verlieren, wirfst du mir einen Rettungsring zu, der mir das Glück verspricht. Und natürlich sage ich ja. 

Da waren wir gerade anderthalb Jahre zusammen. Doch statt im Glückstaumel zu sein, werde ich nur noch unsicherer, mache mir nur noch mehr Sorgen, achte noch mehr darauf, alles richtig zu machen. In deinen Augen aber scheine ich sogar immer weniger richtig zu machen. 

Du fängst wieder an, dich mit deiner Ex-Freundin zu treffen. Nur zum Reden. Ich bitte dich, es nicht mehr zu tun. Meine Unsicherheit trifft auf deine Langeweile mir gegenüber. Du lügst, ich finde es heraus. Es wird nur noch schlechter zwischen uns. 

Ironischerweise bin ich, diejenige, die sich ein Bein ausreißt, damit es wieder gut wird, aber du gießt eigentlich nur Öl ins Feuer. Du redest von Vertrauen. Ich müsse dir vertrauen. Du andererseits, du hast so viele schlechte Erfahrungen im Leben gemacht, zu 100 % wirst du mir niemals vertrauen können. Damit muss ich leben. Du redest auch von Respekt – aber wo war eigentlich die ganze Zeit dein Respekt mir gegenüber? 

Du sagst, du seist unglücklich in dieser Beziehung. Ich frage dich, was ich ändern kann. Ich sollte doch ein bisschen mehr wie deine Ex-Freundin sein, ist deine Antwort. Wow, der hat gesessen. 

Schließlich bekomme ich eine Jobzusage. Nach fast zwei Jahren des Zweifelns und Verzweifelns. Meinen Umzug nimmst du zum Anlass, um auf Abstand zu gehen. Dir fehlt die Leidenschaft, sagst du. Dir fehlt die bedingungslose Ergebenheit, meinst du. 

Als du schließlich endlich einen Schlussstrich ziehst, bricht eine Welt für mich zusammen. Wochenlang weiß ich nicht, wer ich bin, tagsüber funktioniere ich, abends breche ich auf dem Fußboden meiner noch halbleeren Wohnung zusammen. Heute muss ich fast dankbar sein, dass du den Schritt gemacht hast, den ich mich niemals getraut hätte, zu gehen. 


Doch die zwei Jahre mit dir haben Spuren hinterlassen. Langsam, Stück für Stück musste ich mich selbst wieder finden. Meine Einzelteile erkennen, sortieren, wieder zusammensetzen oder entsorgen. Ich musste neu lernen, wie gesunde Beziehungen funktionieren, wieder lernen, mich zu öffnen und vor allem zu vertrauen. Das ist immer noch ein Weg, auf dem ich bin. Noch immer tauchen ab und zu Erinnerungen auf, die ich mit Abstand in einem ganz anderen Licht sehe. Noch immer gerät mein Körper in Panikmodus, wenn ich unerwartet irgendwo einen Mann in olivgrüner Uniform sehe, weil ich denke du bist es. 

Ich habe immer nur das Beste in dir sehen wollen. Aber du warst nicht gut. Ich wollte bloß so sehr, dass du gut bist. Lange dachte ich ein „Nach dir“, das wird es, das kann es nicht geben. Doch jetzt gibt es ein Nach dir und zwar nicht wegen, sondern trotz dir. 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert