„Ich glaube, ich frage mich gerade zum ersten Mal in meinem Leben wirklich, was ich eigentlich selbst will. Also so bewusst.“ Bei der Erkenntnis wird mir erstmal flau. „Das fühlt sich verdammt gut an.“ Ich merke, wie ich grinse und aus dem Bildschirm mir gegenüber strahlen mich die Augen von Frau E. an, die begeistert nickt.
„Es ist auch noch ziemlich gruselig.“ Das muss ich hinterher schieben. „Aber auch gut. Es ist aufregend, gut aufregend.“
Vor meinem inneren Auge lasse ich sie Revue passieren, all die Begegnungen und Beziehungen, die mich an diesen Punkt gebracht haben.
Da war die Pubertät in der ich so gerne cool sein und dazugehören wollte – gleichzeitig aber auch immer anders als die anderen. Da war die erste Beziehung, die mich in eine neue Rolle gedrängt hat, noch bevor ich für mich selbst überhaupt festlegen konnte, wie ich diese Rolle ausfüllen will. Dann kamen Freundschaften und gingen wieder. Ich war auf Partys, weil da alle waren, ich habe Alkohol getrunken, weil das alle getan haben und ich habe über Mitschüler*innen gelästert, weil ansonsten ich Ziel des Spotts geworden wäre.
Da war das Studium, das ich mir zwar durchaus aus Interesse, aber zu einem großen Teil auch aus Bequemlichkeit ausgesucht hatte. Die Wochenend- und Urlaubsplanung, die eigentlich immer nur von anderen Menschen abhängig war. Sportsucht und ein gestörtes Verhalten zum Essen, weil ich erneut anderen hinterhergelaufen bin.
Dann war da das Schlussmachen, das Verlassen einer Beziehung, die mich fast fünf Jahre lang begleitet hat, und hat mir einen kleinen Vorgeschmack darauf gegeben, wie dieses auf die eigenen Bedürfnisse Hören sein kann.
Doch dann war da die Arbeitslosigkeit, das ständige mich beweisen Müssen bei Vorstellungsgesprächen, das ständige bewertet und schließlich abgelehnt Werden. Da war eine Pandemie, die allen das Leben schwer gemacht hat.
Und da war eine toxische Beziehung, die mich fast gänzlich meiner Selbst beraubt hat, in der ich erst recht nicht mehr gefragt habe, was ich will, sondern immer nur er.
Am Ende war da doch der Job und die Freiheit – aber damit kam die Ratlosigkeit. Wer bin ich, wenn ich mich nicht über die Beziehung zu einem Mann definiere? Wenn ich mir nur Ratschläge anhöre, nach denen ich auch gefragt habe? Wenn ich auf niemanden Rücksicht nehmen muss?
Wer bin ich, wenn ich sein kann, wer ich will?
Man läuft so mit. Immer wieder läuft man so mit und vergisst dabei viel zu oft, mal kurz stehen zu bleiben und innezuhalten. Kurz Luft zu holen und zu sich zu fragen: Bin ich hier noch richtig?
Vor etwa einem Jahr hatte ich die Erkenntnis, dass ich mir diese Fragen nie bewusst gestellt habe. Seit einem Jahr stelle ich sie mir regelmäßig. Seit einem Jahr mache ich mir jetzt klar, was ich will und was nicht.
Ich will …
- … die Musik laut aufdrehen und durch die Wohnung tanzen.
… negative Menschen überall, wo es möglich ist, aus meinem Leben streichen.
… keine Ratschläge, wenn ich nicht explizit danach frage.
… mehr zuhören und weniger reden.
… Katzen flauschen.
… mehr Kuchen essen.
… nein sagen, auch wenn andere ein höfliches Ja erwarten.
… einer Arbeit mit Sinn nachgehen und trotzdem verlangen, dafür angemessen bezahlt zu werden.
… „Ich liebe dich“ sagen so oft es nur geht.
… in Cafés sitzen, einen Hafer-Capuccino trinken und Leute beobachten.
… für meine Überzeugungen eintreten.
… keine Kinder haben.
… jedes Jahr aufs Neue alle Harry Potter Filme anschauen.
… Sport machen, weil ich Lust darauf habe.
… stark sein, physisch und mental.
… offen sein für Neues.
… reisen.
… manchmal einfach weinen.
… eine Partnerschaft, die den Namen verdient.
… Wertschätzung für meine Leistung.
… mich nicht mehr selbst klein machen.
… nie mehr aufhören mich zu fragen, was ich wirklich will.