Im Spiegel

Frau im Wasser, Körper

TRIGGERWARNUNG: Sexualisierte Gewalt, Körperbild


Wenn ich in den Spiegel schaue, so richtig, dann sehe ich sie alle. Höre alle ihre Worte, die sich tief in mein Bewusstsein eingebrannt haben. Unwiderrufliche Tattoos.

Wenn ich in den Spiegel schaue, dann sehe ich Daniel*, der sagte, ich dürfe auf keinen Fall dünner werden, weil sonst meine Brüste zu klein werden. Ich sehe aber auch Sandro, der gefragt hat, ob ich denn nie einen BH trage. Wenn wir zusammen unterwegs sind, müsse das nämlich schon sein. Ich sehe Markus, der mich festgehalten hat, der meinen Hals küsste und sagte, ich solle mich nicht anstellen – und sich am nächsten Tag „entschuldigte“ mit den Worten: Tut mir leid, falls ich dir zu nahe getreten bin.

Ich sehe Paul, der total verrückt war nach meinem Arsch und stolz, wie muskulös der durchs Kniebeugen geworden war. Ich sehe wieder Daniel, der der Meinung war, wir müssen sexy Schuhe und Wäsche für mich kaufen, weil … ja, warum eigentlich?

Ich sehe Ben, der nie reden wollte, sondern immer sofort nach dem Sex verschwunden ist. Ich sehe Timo, der hundertmal versprochen hat, am nächsten Tag zu schreiben – und es nie getan hat.

Ich sehe Noah, der damals – als ich noch zu jung war, die Ausmaße einer solchen Aussage zu verstehen – gefragt hat, wozu er überhaupt eine Freundin hat, wenn er keinen Sex mit ihr haben kann.

Ich sehe und höre all die Männer, die mir auf offener Straße nachgepfiffen, anzügliche Gesten gemacht oder gesagt haben, ich solle doch mal lachen.

Ich sehe auch, wo er mich angefasst hat. Wo sich seine Berührungen eingebrannt haben auf meiner Haut. Die hunderten Male, als mein Nein nicht gehört, mein Hör auf weggewischt wurde. Denn wenn du nein sagst, meinst du eigentlich nur, versuch es weiter, versuch es härter.

Und ich hasse es.

Ich hasse, dass all diese Männer, ihre Spuren hinterlassen haben. Spuren, die mein Selbstbild und meinen Selbstwert beeinflusst haben und bis heute beeinflussen. Die zu Narben geworden sind, die immer noch schmerzen, wenn jemand sie berührt.

Ich hasse, dass all diese Männer mit einer Selbstverständlichkeit geredet und gehandelt haben, die ihnen beigebracht wurde, von Zuhause und von der Gesellschaft.

Ich hasse, dass auch ich all das mit einer Selbstverständlichkeit hingenommen habe, weil eben auch ich nicht frei bin von dieser gesellschaftlichen Prägung – einer patriarchalen Prägung.

Wenn ich heute in den Spiegel schaue, dann versuche ich das zum ersten Mal, ohne dabei einen männlichen Blick auf meinen Körper zu haben. Ich sehe Dehnungsstreifen und Cellulite. Ich sehe fünf, sechs, sieben Kilo und ein bis zwei Hosengrößen mehr. Ich sehe, wie einzelne Kleidungsstücke über dem Bauch spannen. Das ist nicht leicht zu akzeptieren.

Aber ich sehe auch immer mehr, dass dieser Körper so viel mitgemacht hat: Kommentare von außen, Kommentare von mir selbst. Diäten, Sport. Übergriffe.

Und er ist noch da. Ich bin noch da.

Also trage ich all die Spuren und Narben mit mir. Als Erinnerung an das, was ich nicht mehr dulden will. Als Erinnerung, dass ich gut zu mir selbst sein will.

*Alle Namen wurden geändert.

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