01/2023 – Fieberdelirium

Tagebuchgeschichten

Gestern habe ich meine Bett frisch bezogen und die Decken von der Couch in die Waschmaschine geschmissen. Ich habe den Biomüll voller Orangenschalen und Teebeutel nach draußen in die Tonne gebracht und die komplette Wohnung durchgelüftet.

Ich tat all das, nicht nur weil es dringend nötig war, sondern auch, um mich selbst davon zu überzeugen, dass es vorbei ist. Dass ich nicht nur auf dem Weg der Besserung bin, sondern schon wieder vollständig wiederhergestellt. Mein schwerer Atmen nach dem Beziehen des Betts und mein Herz, dass laut in meiner Brust klopft, strafen mich Lügen. Hinsetzen. Durchatmen.

Ich hasse es krank zu sein. Als Kind war krank sein irgendwie immer etwas Besonderes. Den ganzen Tag Fernsehen schauen, ohne dafür kritisiert zu werden, nicht in die Schule gehen müssen und von Mama besonders viel Aufmerksamkeit erhalten.

Als Erwachsene ist krank sein – für mich – vor allem mit Schuldgefühlen verbunden. Ich müsste doch so dringend X, eigentlich sollte ich gerade Y. Drei Termine mussten in der letzten Woche dran glauben. Einer, von dem ich dachte, ich könnte ihn retten, indem ich ihn auf online statt in Präsenz verschob, fiel dann aber doch meinem im Fieberdelirium nicht leistungsfähigen Gehirn zum Opfer, das schlichtweg eine Mail nicht abschickte. Von der Lohnarbeit mal ganz zu schweigen. Auch die musste die letzten fünf Tage daran glauben. Dass ich erst seit drei Tagen wieder an sie und all die Aufgaben, die bei meiner Rückkehr auf mich warten, denke, zeigt eigentlich nur, wie sehr mein Körper mich wirklich zu einer Pause gezwungen hat.

Capitalism has fooled me. Ich bin nicht nur der Meinung, immer produktiv sein zu müssen, sondern auch dass krank sein und sich eine Pause zu nehmen, Zeichen von Schwäche und mangelnder Kollegialität sind.

Ich hasse es, krank zu sein, weil ich dann meinen täglichen Aufgaben nicht nachgehen kann. Vor allem in der Phase, in der der Kopf schon wieder vollen Tatendrang ist, der Körper aber einfach noch nicht mitspielen will. Ich will wieder arbeiten, will wieder zum Sport gehen und die Wohnung wieder in einem vorzeigbaren Zustand sehen. Aber eigentlich weiß ich doch ziemlich genau, dass das nicht mein intrinsischer Wunsch ist.

Mein Wunsch ist es, einfach noch ein bisschen liegen zu bleiben.

Jetzt ist das Bett frisch bezogen und die Decken gewaschen. Aber liegen bleiben, werde ich trotzdem noch ein bisschen. Denn warum denn auch nicht?

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