Stille im Kopf

Wenn morgens um 6 Uhr der Wecker klingelt, habe ich keine Lust aufzustehen.

Ich habe keine Lust, mich aus den weichen Kissen herauszuschälen und die wohlige Wärme meines Bettes zu verlassen. Ich habe keine Lust, mich zu waschen, meine Zähne zu putzen und mich anzuziehen. Ich habe keine Lust, meine Tasche zu packen. Ich habe keine Lust, diese Tasche umzuhängen und das Haus zu verlassen, keine Lust so früh unterwegs zu sein. Ich habe keine Lust. 

Ich. Habe. Keine. Lust.
Keine.
Lust. 

Ich habe keine Lust, im Fitnessstudio angekommen, meine Schuhe zu wechseln und die richtige Musik auszusuchen. Habe keine Lust, mich durch meine eigentlich sehr gut kuratierten Spotify Playlists zu scrollen, um herauszufinden, was mich heute in die richtige Stimmung bringt. Ich habe keine Lust mich aufzuwärmen. Ich habe keine Lust, mich ordentlich zu dehnen, die Gelenke richtig vorzubereiten. 

Ich. Habe. Keine. Lust.

Und trotzdem tue ich das alles. Denn wenn ich den richtigen Song an diesem Morgen gefunden habe, wenn die Geräuschunterdrückung ein- und der Rest meiner Gedanken ausgeschaltet ist, wenn sich meine Finger um die Eisenstange schließen – dann ist da ein Moment der Ruhe und der Klarheit, wie ich ihn zu keinem anderen Zeitpunkt erlebe. Da gibt es nur mich und diese Eisenstange. Und das Ziel, sie zu bewegen. 

Es ist die Einfachheit, das Runterbrechen auf ein absolutes Minimum und damit die Konzentration auf ein sehr konkretes Ziel, warum ich diesen Sport so sehr liebe. Nie bin ich mehr bei mir, mehr bei meinem Körper und mehr bei meinem Geist, als wenn ich diese Stange bewegen will. 

Und nie fühle ich mich besser, als wenn ich sie dann bewegt habe. Eigenes Körpergewicht: Check. Fünf Kilo über Körpergewicht: Check. Zehn Kilo über Körpergewicht: Check. Die Endorphine, die nach dem erfolgreichen Lift durch meinen Körper rasen, sorgen nur dafür, dass der nächste noch besser funktioniert. Und ich bin mir sicher: Ich kann alles schaffen. Weil ich stark bin. Und das meint beides. Ich bin stark, körperlich, und kann deswegen im Vergleich zu anderen Menschen viel schaffen. Aber ich bin auch stark, mental – und kann deswegen alles schaffen. Was Powerlifting mich gelehrt hat, ist, dass Dinge manchmal echt schwer werden. Und zwar metaphorisch als auch wörtlich. Manchmal steckt man das gut weg und es läuft einfach. Da kann man in jeder Einheit noch ein Kilo draufpacken. Manchmal aber auch nicht. Manchmal, da muss man sogar ein bisschen zurückfahren, ein paar Kilo wieder wegnehmen und sich lieber auf die Technik konzentrieren. Aber auch wenn es hart und anstrengend ist und wenn ich aufgeben will, irgendwann bewege ich auch dieses Gewicht. Ich muss nur genug Geduld haben und dran bleiben. Irgendwann wird auch das leicht sein. 

Und wenn das nicht die perfekte Metapher für das Leben an sich ist – dann weiß ich auch nicht. 

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