Was geblieben ist

Herz im Sand, das weggespült wird

+++ TRIGGERWARNUNG: Körperbild, Essverhalten, Sport +++


Heute weiß ich gar nicht mehr genau, wie das passiert ist, dass du in mein Leben getreten bist. Auf einmal warst du einfach irgendwie da. Auf einmal fingen wir an, regelmäßig miteinander zu schreiben, uns Fotos zu schicken, uns zu erzählen wie unser Tag läuft. Wir fingen an, uns zu treffen und irgendwann auch zu küssen. Und ab da warst du einfach Teil meines Lebens.

Das passierte gerade als ich mein Studium aufnahm und von zu Hause auszog. Die nächsten Jahre waren für mich ein ständiges Pendeln zwischen meiner WG, meinem Elternhaus und dir. Jeden Freitag packte ich meine Siebensachen zusammen und machte mich auf den Weg. Und sonntagabends wieder. 

Ich glaube, dass ich dadurch viel von meinem Studentenleben verpasst habe, ich war nicht viel aus, kaum auf WG- oder anderen Partys. Und wenn doch, dann musste ich das lange vor dir rechtfertigen. Aber die meiste Zeit war es nicht schlimm. Ich freute mich auf dich und auf die Zeit mit dir. Jedes Mal, das war es mir wert. 

Unsere Wege kreuzten sich aber auch genau zu der Zeit als ich von einem zweimonatigen Aufenthalt in Frankreich zurückkam. Das erste Mal war ich wirklich lange von zu Hause weggewesen, hatte das Leben in vollen Zügen genossen – und hatte auch zum ersten Mal sichtlich Gewicht zugelegt. Das erste Mal war ich wirklich unzufrieden mit meinem Körper und hatte das Bedürfnis, ihn zu verändern. 

Für mein von Haus aus unsportliches Ich war das die größte Herausforderung und mit so viel Frust und Ärger verbunden. Doch du hast mich unterstützt. Nie hast du irgendwie anmerken lassen, dass ich es nötig hätte – du hast mich unterstützt, weil ich es so wollte, warst mein größter Anfeuerer. Genau das, was ich gebraucht habe. 

Nur durch dich habe ich letztendlich auch zu dem Sport gefunden, der mir Spaß gemacht hat, den ich bis heute nicht mehr missen möchte. Ich bin über mich hinausgewachsen, habe unglaublich viel gelernt – nicht nur über Bewegung und Ernährung, sondern auch über mich selbst. Unsere Paar-Qualitytime war es, gemeinsam ins Fitnessstudio zu gehen, uns gegenseitig anzufeuern und danach darüber zu sprechen, was wir verbessern können. Doch dabei hat es nicht aufgehört. Auch Essen wurde ein immer größeres Thema. Vor allem für mich, glaube ich.

Bis es dann irgendwann gekippt ist. Es war ein schleichender Prozess, den ich selbst gar nicht so richtig mitbekommen habe. Aber bald war der Punkt erreicht, an dem ich keine Mahlzeit, keinen Snack, nicht einmal mehr die Regale im Supermarkt ansehen konnte, ohne im Kopf sofort zu überschlagen, wie viele Kalorien, wie viele Proteine, Kohlenhydrate und Fette ich vor mir sah. Wenn ich mal aus welchen Gründen auch immer eine Trainingseinheit auslassen musste, war ich schlecht gelaunt und sah sofort meinen kompletten Fortschritt gefährdet. Mein ganzes Leben drehte sich um diese zwei Dinge.

Und du hast es nicht bemerkt. Oder vielleicht hast du es auch bemerkt, aber dem nicht die Bedeutung beigemessen, die nötig gewesen wäre. Das ist kein Vorwurf. Niemand hat es bemerkt … am wenigsten ich selbst. Unsere Beziehung musste erst enden, damit ich mit Abstand selbst diese Erkenntnis haben konnte. Mein Verhalten war ungesund und du hast es befördert, wenn auch unbewusst. 

Meine Beziehung zu Bewegung und Essen ist wahrscheinlich für immer untrennbar mit dir verknüpft. Dass muss nichts ausschließlich Schlechtes sein. Aber trotzdem will ich mich an dich und an uns nicht nur in diesem Zusammenhang erinnern.
Wir haben Roadtrips gemacht und gemeinsam einen kleinen Teil der Welt gesehen. Mit dir war ich auf meinem ersten Festival. Mein Musikgeschmack ist noch heute von dir und all den Bands geprägt, die du mir gezeigt hast. Auch das wird immer mit dir verknüpft sein.

It wasn’t all bad. Ganz und gar nicht. Du bist der Beweis dafür, dass jeder Mensch, den wir treffen Spuren in unserem Leben hinterlässt und in den seltensten Fällen sind diese ausschließlich positiv oder negativ konnotiert. Meistens ist es eine Mischung.

Und zu dieser Mischung gehört auch, dass ich genauso Fehler gemacht habe. Wir waren wirklich schlecht in Kommunikation. Und mit wir meine ich vor allem mich. Die meiste Zeit war ich nicht in der Lage, dir mitzuteilen, was meine Bedürfnisse sind – wie auch, ich kannte sie ja selbst nicht einmal wirklich. 

Was ich inzwischen verstanden habe ist, dass ich die Zeit mit dir nicht missen möchte, weil sie mir viel über mich selbst beigebracht hat. Doch langfristig waren wir nicht gut füreinander. Du hattest ein Bild von mir, das du geliebt hast und ich habe alles getan, um dieses Bild zu erfüllen. Aber das war nie wirklich ich. Ich habe selbst viel zu lange an diesem Bild festgehalten, wollte mir selbst nicht eingestehen, dass es so nicht funktionieren kann – bis es geknallt hat. 

Lange hat es in mir gegärt und gebrodelt, es hat sich angestaut. Viele kleine Gedanken, die sich zu einer großen Erkenntnis geformt haben, die ich aber lange in eine Ecke schieben konnte. Verdrängung, eine meiner größten Stärken. Doch irgendwann wird der Kloß so groß, dass er ganz von alleine rausquillt. Ich hatte nicht geplant, dich an diesem Tag zu verlassen und vor allem hatte ich nicht geplant, dass es so passiert, wie es dann passiert ist. Doch auf einmal ging es einfach nicht mehr. 

Als hätten unsere Orbits sich über Jahre immer weiter angenähert, um sich für einige Jahre zu kreuzen und dann sind sie wieder auseinandergedriftet. Nur, dass wir beide das Auseinanderdriften nicht sehen wollten. So waren wir. 

Wenn ich heute deine Storys auf Instagram verfolge, denke ich, dass du glücklicher bist. Und das freut mich so sehr für dich, denn mit mir wärst du nicht so glücklich geworden. Ich bin auch glücklicher, als ich es mit dir geworden wäre. Aber das heißt nicht, dass ich etwas bereue. Höchstens vielleicht, dass ich dir so weh tun musste, um mich selbst zu finden. 

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